Zentrum Seniorenstudium
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Interview mit Prof. Dr. Dr. h. c. Julian Nida-Rümelin

01.10.2021

Prof. em. für Philosophie und politische Theorie, Staatsminister a. D.

(18.02.2020, Interviewer Dr. Johannes Rauter)

1. Herr Professor Nida-Rümelin, warum engagieren Sie sich für das Seniorenstudium?

Universitäten sind nicht nur Stätten der Ausbildung für akademische Berufe, sondern auch Stätten der Bildung, ein öffentlicher Raum zum Austausch von Gedanken, oft weit der gesellschaftlichen Entwicklung vorauseilend. Ich fände es schade, wenn die Tendenz des Bolognaprozess sich verstärkte, alles allein auf die Qualifizierung in gewissen Berufsfeldern zu verengen, ohne weitere Ansprüche und Ziele. Und daher finde ich es gut, dass gerade Ältere, für die die Berufsqualifizierung keine Rolle mehr spielt, sich für die universitären Inhalten interessieren. Und wenn das ohne Beeinträchtigung der jungen Studierenden geht, dann öffne ich die Vorlesungen für sie gerne.

2. Was bedeutet für sie lebenslanges Lernen?

Life long learning, die drei L, ist heute praktisch ein Schlagwort geworden. Es löst sich das bekannte Lebensphasenmodell auf, von Kindheit, Bildungsphase bis zur Rente. Wir müssen uns darauf einstellen, dass Bildung nicht mit Ausbildung oder mit dem Studium endet, es setzt sich über alle Lebensabschnitte fort. Nicht nur wegen neuer beruflicher Anforderungen, sondern was die Persönlichkeitsbildung angeht. Das passt zu Studien, dass ältere Menschen so um die 70 eine Art „zweite Pubertät“ erleben, sie wollen sich nochmals neu aufstellen, dem Leben eine neue Richtung geben, sich einen unerfüllter Studientraum erfüllen, eine sehr schone Motivation, um an der Universität als Hörer dabei zu sein.

3. Worum geht es Ihnen in Ihrer Lehre?

Man muss zwei Sachen verbinden: Die universitäre Lehre ist immer mit eigener Forschung verbunden, im Gegensatz zu den Fachhochschulen. Man muss aber auch in der Lage sein, Überblick über ganze Fachgebiete zu vermitteln. Das setzt souveräne Beherrschung des Stoffes voraus, sonst kann man solche großen Vorlesungen nicht machen. Politische Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart ist schwer zu bewältigen. Ich denke, die Professorinnen und Professoren müssen solche Angebote selbst leisten, nicht so sehr die Nachwuchswissenschaftler, die sehr spezialisiert sind aber die Souveränität noch nicht haben, ganze Fachgebiete zu bewältigen und zu präsentieren. Ich gebe mir Mühe in den großen Vorlesungen wie Ethik oder politische Philosophie, dass dort beides geleistet wird, also ein T-Modell: Orientierungswissen, Hintergrundwissen vermitteln und so Einordnung zu ermöglichen, aber auch tiefergehend auf Forschungsprobleme einzugehen.

4. Was ist das Beste daran älter zu werden.

(Lacht). Ja wenn man den Glücksforschungen glauben darf, dann wird man ja mit zunehmendem Alter immer zufriedener. Da ist zunächst überraschend. Das Höchstmaß an Unzufriedenheit ist im Alter von 40 bis 50. Die Zufriedenheit steigt nach der Lebensmitte wieder an. Ernsthaft: Man hat Verantwortung für die eigene Persönlichkeitsbildung, die nie abgeschlossen ist. In den fortgeschritteneren Jahren ist die Bereitschaft gegeben, sich stärker um die Familie zu kümmern, die mittlere Genration zu unterstützen. Das Modell „Kreuzfahrt“, das hat mich nie überzeugt, also die ewige Freizeit nach der Pensionierung ist überhaupt keine gute Perspektive, sie lässt die Persönlichkeit verkümmern. Daher bewundere ich jene, die ihre Zeit auch mit Bildungsanstrengungen füllen.

5. Mit welchen drei Eigenschaftswörtern würden sie sich beschreiben?

Oh weh, (lacht). Ist gar nicht so einfach. Ich setze mich intellektuell mit Themen auseinander also Argumente pro und contra abwägend, ideologiefern, insofern „Intellektuell“, das passt sicher. Zweitens: Ich wollte mich nie in die Wissenshaft oder in die Kreise der Intellektuellen zurückziehen. Ich wollte mit den Menschen in Kontakt bleiben, mich ins „Getümmel“ begebe, das war ja auch der Grund warum ich eine Zeitlang in die Politik gegangen bin. Menschen offen zu begegnen, ohne Wissenschafts- und Akademikerdünkel, das war mir ein Anliegen. Also immer nahe am Menschen. Das Dritte ist humanistisch. Es geht um das Menschliche im Kern. Meine Philosophie dreht sich um die Frage, was ist eine vernünftige Praxis. Also humanistisch würde ich als drittes Merkmal nehmen.